Warum Pränataldiagnostik?

Liebe Eltern, liebe Patientin,

wenn es eine Konstante in der Geschichte der Menschheit und des biologischen Lebens gibt, dann ist es die Weitergabe des eigenen Erbgutes. Wir Menschen, aber auch alle anderen Lebewesen geben ihre Gene weiter. Diesen ersten Schritt haben Sie erfüllt. Nun stehen noch ein paar Monate der Schwangerschaft an, bevor Sie Ihre süße wertvolle “Ko-Produktion” bewundern können.

Haben Sie es von sich aus noch nicht getan, dann werden Sie früher oder später durch Familienmitglieder, Freunde und vor allem durch das Internet mit dem Thema der so genannten vorgeburtlichen Untersuchungen konfrontiert werden. Deshalb wollen wir, das Team vom Gynaekologikum,  unseren Beitrag hierzu leisten und möchten mit Ihnen hier noch ein paar Gedanken und Informationen zur Pränataldiagnostik teilen.

Was steht jeder Schwangeren per Gesetz zu?

In den Mutterschaftsrichtlinien sind neben dem Erkennen mütterlicher oder die Gebärmutter betreffenden Erkrankungen auch Untersuchungen zur Frage der Gesundheit des ungeborenen Babys (Fetus) vorgeschrieben oder empfohlen. Es sind 3 Ultraschalluntersuchungen vorgesehen (merke: alle Untersuchungen sind für die Schwangere selbstverständlich nicht verpflichtend, immerhin handelt es sich um “das Natürlichste der Welt”. Sie können auch das Mysterium intakt halten und den natürlichen Verlauf abwarten:

  1. Untersuchung (ca. 9. – 12. SSW): Liegt die Schwangerschaft in der Gebärmutter, schlägt das Herz, gibt es nur einen Embryo oder vielleicht mehrere….
  2. Untersuchung (18. – 22. SSW): Ihr Baby ist schon längst ein Fetus (kein Embryo mehr), alle Organe sind zu diesem Zeitpunkt angelegt und müssen nur noch heranreifen. Hier bieten die Mutterschaftsrichtlinien die Wahl zwischen einem Standard-“Organ-Ultraschall”, oder eine erweiterte Version (so genannter IIb-Ultraschall, oft von Patientinnen auch „großer Ultraschall“ genannt). Bei dieser Untersuchung können viele Auffälligkeiten/Fehlbildungen detektiert werden, jedoch nicht alle (das ist wie vieles in der Medizin sowieso nicht zu 100% möglich). Ein ausgebildeter Pränataldiagnostiker kann mit seinem hochauflösenden Ultraschallgerät deutlich mehr erkennen (so genannte Feindiagnostik). Diese Untersuchung wird Ihnen von ihrem Frauenarzt empfohlen, wenn er eine Auffälligkeit z.B. im IIb-Schall entdeckt hat oder wenn bei Ihnen gewisse Risikofaktoren vorliegen (Überweisung). Sie können aber auch auf eigene Wunsch eine Feindiagnostik durchführen lassen. Gerne beraten wir Sie diesbezüglich.
  3. Untersuchung (um die 30. SSW): Jetzt wird geschaut, ob ihr Baby sein genetisch vorgegebenes Wachstumspotenzial ausschöpfen kann, sprich: funktioniert die Plazenta so gut, dass Ihr Kind gut wachsen kann und genug versorgt wird. Des Weiteren wird nach Befunden gesucht, die für den Geburtsvorgang relevant werden könnten (Sitz der Plazenta, Kindslage etc.).

Darüber hinaus bietet der Gesetzgeber Frauen, die 35 Jahre oder älter sind, an, eine Fruchtwasseruntersuchung (so genannte Amniocentese) durchführen zu lassen. Die Rationale dahinter ist, dass mit steigendem mütterlichen Alter das Risiko für bestimmte Chromosomenstörungen zunimmt (so genannte Altersindikation). Insbesondere die so genannten Aneuploidien (= numerische Chromosomenstörung: es sind mehr Chromosomen vorhanden als die 46 des normalen Chromosomensatzes, oder aber es fehlen welche) treten mit steigendem Alter häufiger auf. Die häufigste ist die Trisomie 21 (Down-Syndrom). Dieses invasive Vorgehen ist aus 2 Gründen nicht unumstritten, in Fachkreisen sogar als nicht mehr zeitgemäß angesehen, Denn:

  • Die absolute Zahl an Kindern mit Down-Syndrom ist bei Müttern unter 35 Jahren größer, da in dieser Altersgruppe einfach die meisten Schwangerschaften stattfinden
  • Die Fruchtwasseruntersuchung eine invasive Technik ist, die mit einem Restrisiko für Komplikationen (bis hin zum Verlust der Schwangerschaft) behaftet ist. Dieses Risiko ist in den Händen eines Untersuchers der DEGUM-Stufe II gering, aber dennoch ist die Vorstellung einer Punktion der Fruchthöhle durch ihre Bauchdecke für eine werdende Mutter beängstigend.

Durch die immer bessere Auflösung der High-End-Ultraschallgeräte und durch die Forschungsarbeit erfinderischer Pränataldiagnostiker und Humangenetiker hat sich das Gebiet der vorgeburtlichen Untersuchung stark gewandelt.

Ersttrimesterscreening

Als bekannteste Untersuchung, die in bestimmten Ländern auch zur Regelversorgung gehört, sei hier das so genannte Erstrimesterscreening genannt. Es wird auch häufig als “Nackenfaltenmessung” bezeichnet. Es hat sich gezeigt, dass Feten mit bestimmten genetischen Krankheiten deutlich häufiger eine Erweiterung dieser Flüssigkeitsansammlung im Nackenbereich aufweisen. Es wurden mit der Zeit noch weitere Merkmale entdeckt (Fehlen des Nasenknochens, auffällige Blutflussmuster über bestimmte Gefäße im fetalen Kreislauf oder im Herzen…). Erhebt man diese Merkmale sowie 2 mütterliche Blutwerte und gibt man diese Ergebnisse in einem Rechenprogramm ein, kann für die Schwangere ein individuelles Risiko für das Vorliegen einer Trisomie 21 (und auch 13 und 18) ermittelt werden .

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Je nachdem wie man die Grenzen für ein auffälliges Ergebnis setzt, wird in ca. 5 % der untersuchten Schwangerschaften ein auffälliges Ergebnis herauskommen. Das bedeutet lediglich, dass man als Schwangere ein höheres Risiko hat, aber keinesfalls, dass die Diagnose einer der oben genannten Chromosomenstörungen gestellt wird. Es können aber jetzt gezielt weitere Untersuchungen durchgeführt werden, um die Diagnose zu bestätigen oder auszuschließen. Je nachdem wie das eigene Sicherheitsbedürfnis ist, kann eine invasive Diagnostik erfolgen (Fruchtwasseruntersuchung, Chorionzottenbiopsie…) oder aber eine so genannte Nicht-invasive Pränataldiagnostik vorgeschaltet werden.

Nicht-invasive Pränataldiagnostik

Der Nicht-invasive Pränatal-Test (auch NIPT abgekürzt) ist eine revolutionäre Entwicklung, die erst seit 2012 auf dem Markt zur Verfügung steht. Es wird der werdenden Mutter lediglich Blut abgenommen und die darin zirkulierenden freien fetalen (kindlichen) Chromosomen-Fragmente von den mütterlichen getrennt, vermehrt und analysiert. Mit hoher Aussagekraft können die Trisomien 21, 18 und 13, aber auch geschlechtschromosomale Störungen (z.B. Turner-Syndrom) sowie das fetale Geschlecht festgestellt werden. Die Sensitivität dieser Methode (die Wahrscheinlichkeit, eine vorhandene Störung zu entdecken) ist sehr hoch. Sie liegt für die Trisomie 21 bei ca. 98% bis 99%.

Seit dem 1.7.2022 kann ein nichtinvasiver Pränataltest (NIPT) auf Trisomien 13, 18 und 21 zulasten der gesetzlichen Krankenkasse angewendet werden, wenn im Rahmen der ärztlichen Schwangerenbetreuung die Frage entsteht, ob eine fetale Trisomie vorliegen könnte, und die Ungewissheit für die Schwangere eine unzumutbare Belastung darstellt.

Ersttrimesterscreening oder NIPT?

Hier kommt für Sie als Schwangere die Frage auf, warum soll ich ein Ersttrimesterscreening durchführen lassen, wenn es doch diesen Test gibt, der viel genauer ist? Eine berechtigte Frage. Wenn lediglich die Frage beantwortet werden soll, ob eine Trisomie 21 mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorliegt oder nicht, dann ist die NIPT sicherlich das bessere Screeningverfahren. Eine NIPT ist aber eine reine Blutentnahme. Demgegenüber wird im Rahmen der Ersttrimesterscreenings durch die hochauflösende Ultraschalluntersuchung nach weiteren Auffälligkeiten gesucht (z.B. grobe Fehlbildungen des Herzens, der Bauchdecke, der Wirbelsäule, der Extremitäten…). Das kann eine Blutentnahme nicht.

Diese Untersuchungen können nur bezüglich Trisomie 21, 18 und 13 verglichen werden. Ansonsten macht ein “Entweder/Oder”-Vergleich wenig Sinn. Deshalb ist es wichtig zu verstehen, was die einzelnen Untersuchungen können und mit welcher Güte des Ergebnisses zu rechnen ist.

Aktuell wird von führenden Experten folgende Vorgehensweise empfohlen:

  1. Durchführung eines Ersttrimesterscreenings
  2. Bei sehr hohem Risiko Durchführung einer invasiven Abklärung
  3. Bei intermediärem Risiko Vorschalten einer NIPT

Es ist jeder Frau überlassen, beide Untersuchungen (ETS und NIPT) durchführen zu lassen. Hier werden alle oben genannten Vorteile der jeweiligen Methoden ausgeschöpft.

Am Ende dieser Überlegung steht die essentielle Frage für die werdenden Eltern: was möchten wir wissen, und was nicht? Dafür müssen Sie aber über die aktuellen diagnostischen Möglichkeiten informiert sein. Wir hoffen, dass wir hiermit etwas Klarheit schaffen konnten. Sind Fragen offen? Bitte Fragen Sie uns. Wir freuen uns, Ihnen weiterzuhelfen.

Ihr Gynaekologikum – Team

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